Kesusastraan : Literatur | Literatur : Kesusastraan | Unionsverlag
Spur der Schritte (Pramoedya Ananta Toer)
Die Welt feiert den Eintritt in das zwanzigste Jahrhundert, und Minke, einer der wenigen europäisch erzogenen Javaner, startet optimistisch in ein neues Leben in einer neuen Stadt: Batavia, dem heutigen Jakarta. Mit dem Beginn seiner Ausbildung an der Ärzteschule und der Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen, hat Minke alle Hoffnung, die Tragödien der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Aber er kann weder seine Geschichte noch die Realität fremder Herrschaft abschütteln. Als seine Welt in Stücke zu fallen beginnt, sammelt er eine kleine, aber leidenschaftliche Gruppe um sich, die mit ihm für die Unabhängigkeit kämpft. Minke erfährt Liebe, Freundschaft und Betrug - mit tragischen Konsequenzen. Eigentlich wollte er die Welt nur verstehen - jetzt will er sie verändern.
ISBN 3-293-20242-X
Unionsverlag
Leseprobe
Nun endlich konnte ich die Erde Batavias unter meinen Füßen spüren. Tief sog ich ihren Duft ein. Leb wohl, du Schiff. Leb wohl, du Meer. Lebt wohl ihr alle, die ich hinter mir gelassen habe. All die bitteren Erfahrungen, lebt wohl.
Hinein in die Welt Batavias - ab in das zwanzigste Jahrhundert. Auch du, neunzehntes Jahrhundert! Leb wohl!
Ich kam, um Ruhm, Glanz und Erfolg zu ernten. Nichts konnte mich daran hindern. Für mich galt die Parole veni, vidi, vici nicht. Ich kam nicht, um zu siegen, auch war es nie mein Ziel gewesen, über meine Mitmenschen zu herrschen. Jene, die Caesars Worte auf ihrem Banner trungen - sie hatten noch nie gesiegt. Sie gingen unter mit fliegenden Fahnen, als sie versuchten, das Reich der Glorie in nur einer Nacht zu errichten, wie einst
Bandung Bondowoso die Tempelanlage Prambanan.
Es war niemand da, der mich abholte. Na und? Man sagt, daß nur der moderne Mensch in diesem Jahrhundert weiter kommen kann, in seinen Händen liegt die Zukunft der Menschheit. Wehrt man sich gegen die Moderne, wird man von allen Mänchten dieser Welt unterworfen werden. Ich war nun ein moderer Mensch. Ich hatte mich befreit von allen alten Äußerlichkeiten und Ansichten.
Modern sein heißt aber auch einam sein, die Einsamkeit eines Weisen, verurteilt, sich von allen überflüssigen Fesseln zu befreien: von der Sitte, vom Blut und vom Boden, wenn nötig, sogar von den Mitmenschen.
Was brauchst du einen, der dich abholt? Tu alles Notwendige ohne Hilfe! Wer Hilfe braucht, macht sich immer von anderen abhängig. Frei sein! Ganz frei. Nur die eigenen Belange werden einen binden.
Mit freiem Herzen, freiem Körper und freier Seele saß ich nun in einer Ecke der Straßenbahn. In Surabay gab es so ein herrliches Fahrzeug noch nicht. Es fuhr auf Schienen. Das Gebimmel seiner Messingglocke trieb einem die Müdigkeit aus. Die grüne Klasse war völlig überfüllt, während die weiße Klasse, die erste Klasse, in der ich fuhr, nahezu leer war. Ich hatte nicht viel bei mir: einen alten Koffer, verbeult an vielen Stellen, eine Tasche und das Portrait einer Frau, in einer samtenen weinroten Hülle, die zusätzlich in ein Leintuch geschlagen war.
Die Straßenbahn glitt ruhig dahin. Ich hatte noch das Schaukeln des Schiffes in mir, als ob ich auf tausend Wellen reiten würde. Es wurde gemunkelt, daß die Straßenbahn demnächst mit elektrischer Kraft betrieben werden sollte. Was für ein Unsinn! Wie sollte Elektrizität eine Straßenbahn in Bewegung setzen können!
Das Hafengebiet verlassend, schien die Straßenbahn sich in einem Sumpfgebiet zu verfahren. Hier und dort waren Unterholz und Gestrüpp zu sehen. Die Luft war mit dem Geruch faulender Blätter geschwängert. Affen schaukelten an den Ästen, ohne Furcht vor dem Gebimmel der Messingglocke zu haben. Einige sprangen fröhlich herum, während andere mit Zweigen auf mich zeigten. Wahrscheinlich hatten sie sich geeinigt, meine Erscheinung genauer unter die Lupe zu nehmen. In ihrer eigenen Sprache riefen sie sich zu: Da ist er, der Minke, der sich als moderner Mensch fühlt! Ja, das ist er, allein in der Ecke sitzend. Einen Schnurrbart hat er ja schon, aber sein Kinn ist noch ganz glatt! Ja, das ist er, der Einheimische, der sich lieber europäisch kleidet und sich als Europäer aufspielt. Auch in der Straßenbahn wählt er die weiße Klasse. Die erste Klasse!