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Reise nach Indonesien (Geschichten fürs Handgepäck)
Dieser Band versammelt Beispiele aus Schöpfungsmythen, Volkserzählungen und Tierfabeln. Die Klassiker des modernen indonesischen Romans werfen Schlaglichter auf Umwälzungen ihrer Epoche. Doch auch die provokative jüngste Generation kommt zu Wort. Nah an der dramatischen Geschichte und immer geprägt von den Herausforderungen des Tages fügen sich die Geschichten zu einem anschaulichen Mosaik dieses Inselreiches zusammen.
Inhalt:
Hermann Hesse: Zu Gast im Urwald
Vincent Mahieu: Madjus letzte Fahrt
Pramudya Ananta Toer: Die Krise
Bakri Siregar: Am Rande des Kraters
Subagio Sastrowardojo: Wonosari
Trisno Sumardjo: Die Masken
Mochtar Lubis: Ein Haus aus Teakholz
Agneta Pleijel: Der Weg des Windes
Fadli Rasyid: Aquarium
Sirikit Syah: Die Zweitfrau
Asneli Lutan: Der Heiratskandidat
Arswendo Atmowiloto: Die Braut fühlt sich einsam
Djenar Maesa Ayu: Moral
Märchen und Volkserzählungen
ISBN 3-293-20476-7
Unionsverlag
Leseprobe
Am Rande des Kraters
Bakri Siregar
Das Haus war schon vor langen Jahren von dem ersten Wächter bezogen worden. Aber immer noch war es fest und stark. Man sah ihm nicht an, dass es demnächst durch ein anderes ersetzt werden sollte.
Mas Hadi war glücklich, hier zu wohnen. Jahrelang lebte er schon hier mit Sumo, seinem Diener. Ganz einsam hauste er am Rande des Kraters, aber es war so, wie er es sich immer gewünscht hatte. Er freute sich wirklich, hier zu leben. Stundenlang konnte er am Fenster des kleinen Hauses sitzen, um über den in der Sonne glitzernden See zu schauen, dessen Oberfläche stets von anrollenden Wellen gekräuselt wurde, die, vom Wind getrieben, einander verfolgten, als ob sie einen Wettlauf zum Strand machten. Mas Hadi fühlte sich dabei ganz glücklich.
Er sah auf das rauchende Kraterloch, das Schwefeldämpfe ausstieß. Manchmal blies der Wind kurze Zeit den dicken Schwefeldampf herüber, sodass die Aussicht auf den See versperrt wurde. Dann waren vorher dichte Rauchwolken aus dem Krater aufgestiegen und beklemmten den Atem.
Wenn auf der gegenüberliegenden Seeseite die Kraterwände mit ihren riesigen Felsmassen wieder sichtbar wurden, dann geschah es, das Hadi seine linke Hand auf die Brust legte, als ob er sich selbst Mut zusprechen wollte bei diesem gewaltigen Schauspiel. Wenn er aber das Rauschen der ans Ufer schlagenden Wellen wieder hörte und sah, dass der Schwefeldampf aus dem Krater fortgezogen war und der Kraterrand wieder sichtbar wurde, dann hob er die Hand, schaute auf zum Gipfel des Merapi-Berges und flüsterte kaum vernehmbar: "Gott sei Dank!" Und dann wurde ihm ganz frei ums Herz.
Suno hatte seinen Herrn schon oft dabei beobachtet, und er hatte stets den Kopf geschüttelt. Er hatte Mitleid mit Mas Hadi. Er wagte jedoch nicht, ihn anzusprechen, denn er fürchtete, dass Mas Hadi zornig werden würde. Stillschweigend ließ er ihn im Hause gewähren, und erst, wenn er das Geräusch des sich schließenden Fensters hörte, traute er sich, das Zimmer zu betreten.
Früher hatte Sumo es einmal gewagt, seinen Herrn zu fragen, was er eigentlich während all dieser Stunden tat. Er erinnerte sich jedoch, dass ihn Mas Hadi sehr böse angesehen hatte. Aber kurz danach hatte sein Gesicht den Ausdruck des Mitleids angenommen.
"Ich habe das nicht geahnt, Sumo", hatte er damals gesagt, "bis jetzt dachte ich immer, dass der Krater sich meinem Verbleiben widersetzen würde. - Ja, und was sehe ich eigentlich, wenn ich stundenlang zum Kraterrand hinüberblicke? Es ist schwer zu erklären. Es ist ein Bild des Lebens, Sumo. Wenn ich die bewegten, blitzenden Wellen sehe, den sich zusammenballenden Rauch, der einem die Sicht auf den schönen See für kurze Zeit nimmt, und dann zu dem gewaltig zum Himmel aufragenden Berg Merapi blicke, ja, dann empfinde ich das als das Glück des Lebens. Die Tage, Stunden gehen vorüber, alles wandelt sich ständig. Ich habe Mitleid mit dir, Sumo, dass du das alles nicht siehst. Wie unglücklich musst du hier sein."