Kesusastraan : Literatur | Literatur : Kesusastraan | Unionsverlag
Dämmerung in Jakarta (Mochtar Lubis)
Die niederländischen Kolonialherren haben das Land verlassen. Die Aufsteiger lösen die soziale Frage glänzend - für sich und ihre Gefolgsleute. Wenn Müllwerker wie Saimun ihren Lohn für zwei Wochen erhalten, reicht's kaum für die Hose auf Abzahlung. Gebratenes Hühnerfleisch ist ein unerschwinglicher Luxus. Mochtar Lubis entwirft in kräftigen Bildern das Panorama einer Großstadt - die Welt der Kaufleute, Beamten, Politiker, Schurken, der debattierenden Intellektuellen und der ewig zu kurz Kommenden. Der Roman, verfasst in einer Zeit, in der der Autor selbst politisch verfolgt wurde, gehört zu den großen Werken der indonesischen Literatur. Erst 1970, als er bereits in zahlreiche Sprachen übersetzt war, durfte er im eigenen Land erscheinen.
ISBN 3-293-20098-2
Unionsverlag
Leseprobe
Saimun schnallte seinen Gürtel enger. Wieder einmal knurrte
sein Magen vor Hunger. Er hatte heute noch nichts gegessen.
Und es war erst Vormittag. Der seit Tagesanbruch niedergehende
Nieselregen verstärkte das Hungergefühl in seinem Magen.
Saimun verfluchte den Regen. Mit seinem nackten schmutzigen Fuß,
an dem Unrat und Bazillen klebten, trat er einen Korb voller Abfall
von der Spitze des Müllberges hinab. Der Abfall rollte nach
unten und wurde erst von der baufälligen Bambuswand einer
kleinen Hütte aufgehalten, von einer überaus morschen
Bambuswand, die sehr stark beschädigt war und äußerst
durchlässig angesichts des nicht enden wollenden Nieselregens.
Eine Frau streckte ihren Kopf aus dem Fenster der Hütte
und schrie mit rauher Stimme: »Bißchen vorsichtig,
ja, wo has' du deine Augen?«
Saimun erschrak ein wenig, schaute auf und musterte die Frau.
Er lachte herb, ohne Zorn oder Verärgerung einfach so wie
er immer lachte. Für einen Augenblick überkam ihn ein
Gefühl der Begierde beim Anblick der Brüste der Frau
in der Hütte dort unten, die durch die Risse in ihrem abgetragenen
und verschlissenen Kleid zu sehen waren. Für einen Augenblick
überkam ihn das Verlangen, nach unten zu steigen und diese
Frau zu besuchen - doch dann hörte er das Brummen des Wagens
der Städtischen Müllabfuhr. Rasch drehte er sich um,
rannte hinab und sprang auf den Wagen, der bereits wieder anfuhr.